Geschichte | 05.07.2020

Keine leichte Aufgabe: Das Geburtshaus von Adolf Hitler im österreichischen Braunau soll zu einer Polizeistation umgebaut werden. Wie geht man mit NS-belasteten Gebäuden um?

„Natürlich fragt man sich, ob es nicht wichtig wäre, einen Ort des Gedenkens zu schaffen“, sagt Stefan Marte vom Architekturbüro Marte.Marte, das den Wettbewerb für den Umbau des Geburtshauses von Adolf Hitler gewonnen hat.

„Es ist eine traurige Tatsache, dass Adolf Hitler hier geboren wurde, aber andererseits ist es eben das Geburtshaus.“ Die Verbindung des Gebäudes mit der Nazi-Ära sei kurz im Vergleich zur viel längeren Geschichte der Immobilie.

Im 17. Jahrhundert befanden sich an der Adresse in Braunau am Inn, etwa 60 Kilometer von Salzburg entfernt, zwei Gebäude, in denen eine Brauerei und ein Gasthaus untergebracht waren. Später wurden die Gebäude zusammengelegt, und es entstanden Wohnungen in der Salzburger Vorstadt.

Viele Jahre später, gegen Ende des 19. Jahrhunderts, zog ein Ehepaar in eine der Wohnungen ein, und am 20. April 1889 wurde dort das dritte ihrer sechs Kinder geboren. Wegen dieser Geburt wird das Haus in Braunau bis heute kontroversiell diskutiert: Ihr Sohn, der spätere Reichskanzler und Diktator Adolf Hitler, sollte den Zweiten Weltkrieg auslösen, den Holocaust verantworten und unbeschreibliches Leid über die Welt bringen.

Hitlers Geburtshaus stand fast ein Jahrzehnt lang leer

In der Zeit des Nationalsozialismus errichtete die antisemitische Partei NSDAP zu Ehren ihres Führers in dessen Geburtshaus ein Kulturzentrum mit Galerie und öffentlicher Bibliothek. Nach dem Krieg eröffneten die US-Truppen dort kurzzeitig eine Gedenkstätte. Später beherbergte es eine Bibliothek, dann eine Schule und schließlich mehr als 30 Jahre lang eine Werkstatt für behinderte Menschen. 2011 wurde das Haus wegen fehlender Renovierungsarbeiten geschlossen und steht seitdem leer. Im Jahr 2017 enteignete Österreich den Eigentümer nach einem langen Streit über die Nutzung des Gebäudes. Am Ende wurde es aus denkmalschutzrechtlichen Gründen nicht abgerissen.

Jetzt wird das Gebäude revitalisiert: Es soll Bezirkspolizeidirektion und Polizeiinspektion Braunau in einem werden – als Symbol für Demokratie, Menschenrechte und Schutz vor Verfolgung. Der Umbau soll 2 Millionen Euro kosten und bis Ende 2022 abgeschlossen sein. Im November 2019 hat das Innenministerium einen Architekturwettbewerb ausgeschrieben.

Das Gebäude in der Salzburger Vorstadt 15 in seinem derzeitigen Zustand: Die Fassade ist seit der NS-Zeit weitgehend unverändert geblieben

Eine wertvolle historische Substanz zum Hitlerhaus

Das Architekturbüro Marte.Marte aus Feldkirch in Vorarlberg hat auch das Dokumentationszentrum für Vertreibung, Aussöhnung entworfen, das 2021 in der Nähe des Potsdamer Platzes in Berlin eröffnet werden soll.

„Als Architekt geht man an ein solches Projekt mit möglichst wenig Vorurteilen und einer gewissen Naivität heran: Es gibt Vorgaben, und man überlegt, wie man sie am besten umsetzen kann“, so Stefan Marte gegenüber der DW. „Man tritt einen Schritt zurück und schaut sich die Architektur, die Konstruktion an und überlegt, was man verbessern kann. Es gibt dort ein wertvolles historisches Fundament – und zwar in der für den Stadtteil typischen Flurbebauung, die ein großes Grundstück umfasst, das wir neu bebauen.“

Die Wettbewerbsjury lobte die Schlichtheit der Gebäudegestaltung, die nach dem Umbau nicht auffallen soll. Da die Fassade heute noch den Archivbildern aus der NS-Zeit ähnelt, war die Sorge groß, dass sie zu einer Pilgerstätte wird, die Neonazis anlockt, die sich gerne fotografieren lassen.“

Nur Hitlers Geburtshaus oder historisch bedeutsam?

In der Beschreibung der Wettbewerbsausschreibung heißt es: „Die äußere Umgestaltung des bestehenden Gebäudes soll die Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus beseitigen“ und „die Pflege, Förderung oder Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts oder eine positive Erinnerung an den Nationalsozialismus verhindern.“

„Unser Ziel ist es, die ursprüngliche Gestaltung zu extrahieren und wiederzubeleben“, betonte der Architekt. Die Nationalsozialisten ließen das Innere des Hauses fast unverändert. „Die NSDAP hat nur die Fassade verändert, die Fensterformen und -größen sollten das Haus stattlicher erscheinen lassen. Auch die Rückseite ist unverändert.“

Der Entwurf sieht vor, das Grundstück durch Neubauten zu erweitern

Abreißen, umgestalten oder denkmalpflegerisch erhalten?

Die historische Bedeutung des Gebäudes ist schwer einzuordnen, denn es war kein Ort, an dem zum Beispiel Gräueltaten stattfanden. Auch hat Hitler dort nicht seine Pläne entworfen; er war erst drei Jahre alt, als seine Familie auszog.

Das Bauwerk ist dennoch ein Paradebeispiel in der Debatte um den richtigen Umgang mit historisch belasteten Bauwerken. Der Obersalzberg, der Münchner Königsplatz, das Berliner Olympiastadion und italienische Architektur aus der Zeit des Faschismus, die teilweise noch die Handschrift Benito Mussolinis trägt – für alle gilt die Frage: Sollen sie abgerissen, umgestaltet oder als historische Erinnerung erhalten werden?

„In der Archäologie heißt der Versuch, die Erinnerung auszulöschen, damnatio memoriae, eine in Ägypten und Rom weit verbreitete Praxis“, sagt der Wiener Historiker Marcello La Speranza, Autor des Buches „Brisante Architektur: Hinterlassenschaften der NS-Zeit“, in einem Interview mit der DW. „Es geht darum, alle Zeugnisse der Existenz zu verbannen und damit die Vergangenheit aus unseren Sinnen zu tilgen.“ Doch die Geschichte hat gezeigt, dass sie sich nicht selbst auslöscht.

Auch andere NS-Bauten wie das Berliner Olympiastadion sind umstritten

Geschichtsauslöschung birgt Risiken

Der Historiker sagt, er wolle dem Ort „nicht zu viel historische Relevanz zuschreiben“; es sei nur „zufällig Hitlers Geburtshaus.“ Dennoch hat das Haus genau diese Geschichte, und sie zu füllen „ohne einen Bezug zur Vergangenheit kann auch neue Mythen um ein Gebäude schaffen, besonders in rechten Kreisen.“ Eine Möglichkeit, mit historisch belasteten Gebäuden umzugehen, wäre die Schaffung eines Informationsraums, meint Marcello La Speranza.

Architekt Stefan Marte ist der Meinung, dass der Umgang mit historisch belasteten Gebäuden von Fall zu Fall bewertet werden sollte: „Es steht außer Frage, dass es andere Möglichkeiten gegeben hätte, zum Beispiel dieses Gebäude so als Teil der Geschichte zu erhalten, wie die NSDAP es hinterlassen hat. Es gibt nicht nur eine richtige Lösung.“

Torsten Landsberg (als)

admin

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